Köln, 14. April 2020
Zahlreiche Radentscheide und Mobilitätsinitiativen aus Nordrhein-Westfalen fordern unverzüglich Maßnahmen für pandemietauglichen Fußgänger*innen- und Radverkehr. Sie verlangen in offenen Briefen an Bundesverkehrsminister Scheuer und NRW-Verkehrsminister Wüst einheitliche Leitfäden, damit die Kommunen schneller Schutzmaßnahmen umsetzen können.
Abstand halten ist das Gebot der Stunde, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Die Mehrheit der Menschen befolgt diesen Rat, steigt aufs Rad um oder geht zu Fuß, so wie es auch das Bundesgesundheitsministerium empfiehlt.
Dabei zeigt sich ein Problem: Der empfohlene Mindestabstand von 1,5 bis 2 Metern ist im Alltagsverkehr kaum einzuhalten, denn die ohnehin schon zu engen Fuß- und Radwege sind dafür nicht ausgelegt. In einem offenen Brief fordern jetzt die Radentscheide Aachen, Bielefeld, Bonn, Detmold, Essen und Marl und mehrere Mobilitätsinitiativen die Landesregierung zum Handeln auf, um sichere Mobilität in den kommenden Monaten zu gewährleisten.
Bislang gibt es von Bundes- und Landesregierung keine Empfehlung für eine einheitliche Vorgehensweise für pandemietaugliche Mobilität. Die Kommunalverwaltungen in NRW sind daher unvorbereitet, weil ihnen rechtssichere Regelungen fehlen, um schnell handeln zu können. Die vor allem in NRW stark wachsende Radentscheid-Bewegung fordert daher von Bundes- und Landesregierung klare Vorgaben und Leitlinien. Diese würden rechtliche Unsicherheiten beseitigen und den Kommunen helfen, auf die neue Situation reagieren zu können.
„Die Kommunen brauchen von den Verkehrsministerien Leitfäden, mit denen sie ihre Straßen schnell und einfach an die neuen Gegebenheiten anpassen und mehr Platz für den Rad- und Fußverkehr schaffen können. Wir müssen pandemiegerechte Mobilität sicherstellen – in den kommenden Monaten, bis ein Impfstoff vorhanden ist“ , sagt Dr. Ute Symanski, Vorsitzende des RADKOMM e.V. und Vertrauensperson für die NRW-Volksinitiative Aufbruch Fahrrad.
Der Kfz-Verkehr hat in den letzten Wochen massiv abgenommen. Während die Auto-Fahrbahnen leer sind, gefährden sich Menschen gegenseitig auf viel zu engen Geh- und Radwegen.
„Verbreiterte Rad- und Gehwege sind schnell und einfach einzurichten, wenn die Bedingungen einmal geklärt sind“, erklärt Dr. Björn Ahaus vom RadEntscheid Essen und verweist auf erste Erfahrungen in Berlin. „Berlin hat mit temporären Radstreifen – auch ‚Pop-Up-Bikelanes‘ genannt – wichtige Erfahrungen gesammelt, die auch in Städten bei uns in NRW schnell für mehr Sicherheit in Corona-Zeit bringen würden. Den Kommunen hier bei uns wollen juristisch sicher handeln. Dazu müssen Bund und Länder jetzt schnell einheitliche Leitlinien schaffen. Das spart Entwicklungszeit und könnte so auch zur Eindämmung des Virus beitragen“.
Ein aktuelles Problem beschreibt Ludger Vortmann vom Radentscheid Marl: „Bettelampeln mit minutenlangen Wartezeiten und viel zu kurzen Grünphasen für Fußgänger und Radfahrer verstärken sogar Gruppenbildung. Die bestehenden Richtlinien zur Planung und Regelung von Verkehr sind für den Autoverkehr gemacht. Wir sollten jetzt in der Coronakrise dem Rad- und Fußverkehr Vorrang gewähren. Das wäre ein wichtiger Schritt zur Reduzierung der Neuinfektionen und würde allen helfen.“
Die Radentscheid-Initiativen in Nordrhein-Westfalen fordern, jetzt einfache und schnell umsetzbare Lösungen zu schaffen. Regelungen, die einem sicheren Rad- und Fußverkehr im Wege stehen, sollten kurzfristig beseitigt werden.
„Umfassende Gesundheitspolitik bedeutet auch, den Menschen einen sicheren Weg zum Einkaufen oder zur Arbeit zu ermöglichen – selbst bei Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbot. Gerade in Zeiten von Homeoffice und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ist es zudem notwendig, dass Menschen ihre tägliche Bewegung im Wohnumfeld durchführen können, um ihre Gesundheit zu erhalten. Hierfür die Voraussetzungen zu schaffen ist wichtige Aufgabe der bundesdeutschen Gesundheitspolitik“ , so Joachim Bick von von der IG Fahrradstadt Münster.
Das Auto als individuelle Lösung stellt in der aktuellen Situation keine Alternative dar. Würden nach der Lockerung der Kontaktbeschränkungen alle ihre Wege im PKW erledigen, käme niemand voran. Das Ergebnis wären lange Staus. Fortbewegung mit dem Rad und zu Fuß ist – wie vom Gesundheitsministerium empfohlen – die einzig wirklich pandemieresiliente Mobilität. Vor allem für Pendler*innen müssen alternative Lösungen zum PKW zur Verfügung stehen, sonst droht ein Verkehrskollaps in den Städten.
Die bundesweite Bewegung der Radentscheide aus mehr als 30 Initiativen sowie der Verein Changing Cities und andere zivilgesellschaftliche Initiativen fordern in ihrem offenen Brief Regelungen zur einfachen Umsetzung verschiedener Maßnahmen auf kommunaler Ebene.
Der offene Brief an Verkehrsminister Hendrik Wüst kann hier abgerufen werden.
Mitgetragen von:
RADKOMM e.V., www.radkomm.de
ADFC NRW – Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club, Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V., adfc-nrw.de
Radentscheid Marl www.radentscheid-marl.de
Radentscheid Aachen, www.radentscheid-aachen.de
Dr. Jan van den Hurk, Dr. Almuth Schauber
Radentscheid Bielefeld, https://radentscheid-bielefeld.de/
Michael Motyka
Radwende Bochum
Radentscheid Bonn, www.radentscheid-bonn.de
Annette Quaedvlieg, Rebecca Heinz
Radentscheid Detmold, https://www.radentscheid-detmold.de/
Birgit Reher
Aufbruch Fahrrad Dortmund, https://aufbruchfahrrad-dortmund.de/
Peter Fricke
Kidical Mass Dortmund, https://kidicalmass-dortmund.de/
Max Kumpfer
RadEntscheid Essen, https://radentscheid-essen.de/
Dr. Björn Ahaus, Klara van Eickels, Jonathan Knaup
Kidical Mass Essen, www.fb.com/KidicalMassEssen
Marc Zietan, Joerg Greiwe, Adrian Micke
IG Fahrradstadt Münster, www.fahrradstadt.ms
Joachim Bick
Kidical Mass Münster, www.kidicalmass-muenster.org
Daniel Hügel
Bildnachweis: Temporärer Radfahrstreifen, Berlin-Kreuzberg, Hallesches Ufer, 31.3.2020
Bildautor Norbert Michalke
Copyright Changing Cities/Norbert Michalke