Anmerkungen zum Radverkehrskonzept Köln Ehrenfeld

Der vorliegende Entwurf für das Radverkehrskonzept Köln Ehrenfeld zeigt, warum die Verkehrswende in NRW nicht vorankommt.Das Konzept enthält gute planerische Impulse für den Kölner Stadtbezirk Ehrenfeld. Aus unserer Sicht sollten jedoch neben den behandelten verkehrstechnischen Belangen auch ökologische, stadtklimatische, ökonomische, gesundheitspolitische und soziale Aspekte berücksichtigt werden.

Zeitlich parallel zur Präsentation des Radverkehrskonzepts Ehrenfeld haben der ADFC Deutschland (Projekt Inno-Rad) und der VCD Deutschland auf Symposien Beispiele bereits realisierter Rad- und Fußkonzepte aus Barcelona, London, Paris, Luxemburg vorgestellt. Im Wettbewerb um die Umwandlung in eine klimaneutrale und menschengerechte Stadt und damit auch um eine internationale Attraktivität, und im Vergleich mit den Konzepten der anderen Städte, ist das vorliegende Radverkehrskonzept mit seiner Fokussierung auf verkehrstechnische Belange leider nicht konkurrenzfähig. Die Vertreterin der Stadt Barcelona hat beim ADFC- Symposium aufgerufen: „We have to remove the asphalt“ – um die Städte lebenswert und klimaneutral zu machen. Dieser Satz zeigt, wie weitrechend andere Stadt- und Verkehrsplaner*innen in den Metropolen weltweit voran gehen.

Auch die Menschen in Köln wollen und brauchen eine Verkehrswende – und zwar jetzt. 

Auch in Köln können sich Politiker*innen und Planer*innen ermutigt fühlen, neue Mobilitätskonzepte umzusetzen: Bei der vergangenen Kommunalwahl war die Verkehrswende (hin zu mehr Rad- und Fußverkehr) ein wahlentscheidendes Thema, und für die Volksinitiative Aufbruch Fahrrad haben ca. 40.000 Menschen aus Köln für mehr Fahrrad unterschrieben. Damit wäre das Quorum für einen lokalen Radentscheid weit übererfüllt.

Die gute Nachricht: Infrastruktur wirkt. Städte, die während der Pandemie ihre Infrastruktur für den Rad- und Fußverkehr verbessert haben, hatten eine überproportionale Zunahme an Rad- und Fußverkehr. In Madrid wurden in den vergangenen Monaten 29 Fußgänger*innenzonen eingerichtet. Für Brüssel, Mailand, Edinburgh, Paris, Berlin wurden bis 66% Steigerung des Radverkehrs gemessen.

Menschen wollen Rad fahren und zu Fuß gehen, wenn sie dafür eine Infrastruktur bekommen. Man nimmt den Menschen also nichts weg, sondern schenkt ihnen eine neue Qualität in der Mobilität und in der urbanen Erholung.

Der Bezirk Ehrenfeld ist eine Chance für Köln: Es gibt in NRW nicht viele urbane Orte, die für die gestaltete Verkehrswende einen Pilot-Charakter einnehmen können. Ehrenfeld könnte hier zum Vorbild werden. Die potentielle Vorreiter-Rolle Ehrenfelds war auch der letzten Bezirksvertretung sehr bewusst und wurde von allen Mitgliedern der BV benannt, als sie am 19.03.2018 beschlossen, dass im Jahre 2025 mindestens 40% der zurückgelegten Wegekilometer im Stadtbezirk Ehrenfeld mit dem Fahrrad gefahren werden sollen. Die Bezirksvertretung hat hier explizit nicht den Modalsplit, also den Anteil der reinen Fahrten (unabhängig von der Länge der jeweiligen Fahrt) am Verkehr als Ziel setzt, sondern die tatsächlich gefahrenen Kilometer. 

Mit dem nun vorliegenden Radverkehrskonzept für Ehrenfeld sind weder die 40% der zurückgelegten Wegekilometer noch die Umsetzung bis 2025 zu schaffen. Beides ist jedoch möglich. Damit diese Ziele und damit die Beschlüsse der BV Ehrenfeld erreicht werden können, schlagen wir 8 konkrete Änderungen am vorliegenden Entwurf des Radverkehrskonzepts Ehrenfeld vor.

Unsere 8 Änderungsvorschläge für das Radverkehrskonzept Ehrenfeld

1. Ausrichtung an Zielen
Das Radverkehrskonzept soll sich an Zielen ausrichten, statt an aktuellen Verkehrsmengen. (Sonst würde man ja jede Veränderung unmöglich machen.) Das Ziel lautet: bis 2025 sollen mit dem Rad die von der BV Ehrenfeld beschlossenen 40% Wegekilometer zurückgelegt werden. Sie entsprechen mindestens 45% am Modalsplit. (Groningen hat sogar 59% Radanteil, Amsterdam 57%.) Unter Berücksichtigung des Fußverkehrs (aktuell 25%) und ÖPNVs (20%), sind 10% Autoverkehr eine realistische Zielgrüße als Planungsgrundlage. Lt. Maßnahmenübersicht der vom Rat der Stadt Köln am 14. Februar 2019 beschlossenen Empfehlung des Wuppertal Instituts „KölnKlimaAktiv 2022“ sind für die Gesamtstadt maximal 10% Autoverkehrs-Anteil bis 2030 zu erreichen, damit Köln seine Klimaziele erreichen kann. Ein 10%iger Autoverkehrs-Anteil in Großstädten gewährleistet eine Alltagsmobilität, ist volkswirtschaftlich sinnvoll, weil teure Staus gar nicht erst entstehen und entspricht daher dem vom Umweltbundesamt errechneten Zielwert einer zukunftsfähigen urbanen Autodichte von 150 Autos/1000 Einwohnern.

2. Mehr Tempo machen und Ziele setzen
2020 war das zweitwärmste Jahr in Deutschland seit Beginn der Temperaturaufzeichnung und Köln war die wärmste Stadt Deutschlands. Jährlich sterben in Ehrenfeld ca. 20 Menschen an den Folgen der Schadstoffbelastung (Feinstaub, Ozon, Stickoxide) alleine durch den Verkehr. Dies ist den Statistiken der WHO und der Europäischen Umweltagentur (EEA) zu entnehmen. (Quelle: Mobilitätsatlas Heinrich Böll Stiftung, VCD). Wir müssen jetzt handeln: In 2021 sollen unbedingt erste Maßnahmen des Konzepts realisiert werden. Wie von der BV Ehrenfeld beschlossen, sollen bis 2025 alle Maßnahmen umgesetzt sein, um die 40% Anteil der Radkilometer am Verkehr zu erreichen. Im Konzept sollten für jedes Jahr bis 2025 die Vorhaben genau benannt und die Ziele (Anteil Radverkehr) formuliert werden. Sollten die Ziele nicht erreicht werden, müssen zusätzliche Maßnahmen umgesetzt werden.

3. „Senior*innen und Kids first“ planen
Das Radverkehrskonzept muss vorrangig die Belange der Kinder, Senior*innen, Menschen mit   Behinderung und generell zu Fuß gehender Menschen berücksichtigen. Paris macht’s vor: „Wir möchten Menschen bewegen und nicht Autos!“ (Anne Hildago, Oberbürgermeisterin Paris).
Moderne Städte planen den Verkehrsraum von außen nach innen: Ruhender Verkehr muss sich grundsätzlich den Bedarfen des gehenden Verkehrs unterordnen. Fußgäng*innenverkehr darf nicht durch Fahrzeuge auf den Gehwegen beeinträchtig werden – daher dürfen auch keine Fahrradabstellanlagen mehr auf Gehwegen gebaut werden.

4. Spielstraßen, verkehrsberuhigte Zonen frei machen
Spielstraßen bzw. verkehrsberuhigte Zonen dienen der Aufenthaltsqualität. Werden sie zugeparkt, können sie diesen Zweck nicht erfüllen. Grundsätzlich soll auf allen Spielstraßen ein Park- und Halteverbot eingerichtet werden.

5. Venloer Straße zukunftsfähig machen
Der Gutachter (Via) selbst wählt als Blaupause für die Venloer Straße mit gutem Grund die Mariahilfer Straße in Wien: Diese ist eine Einkaufsstraße, sie liegt nicht in der City, sondern in einem Wiener Randbezirk, sie hatte vor dem Umbau eine hohe Verkehrslast, sie hat ähnlich viele Seitenstraßen (!) wie die Venloer Straße. Wien hat aus der Mariahilfer Straße eine Fußgänger*innen-Zone gemacht. Die Umwandlung der Mariahilfer Straße in eine autofreie Begegnungszone war zunächst ein Schreckgespenst für die Wiener Wirtschaftskammer (WKW). Inzwischen ist die „neue Mariahilfer Straße“ mehr als vier Jahre alt – und der Kammer zufolge sind die regional- und volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Umwandlung in Areale zum Verweilen dermaßen positiv, dass sie für zahlreiche weitere solche Zonen in der Stadt plädiert.   


Tweet von Birgit Hebein. Sie war bis November 2020 Wiener Vize-Bürgermeisterin und Stadträtin für Stadtentwicklung und Verkehr.

Auch der international anerkannte Stadtplaner Mikael Colville-Andersen vergleicht die Venloer Straße mit der Mariahilfer Straße und schlägt vor, sie autofrei zu machen.   

Förderung des Einzelhandels vorantreiben
Einkaufsstraßen, die autofrei gestaltet wurden, bringen durchweg zweistellige Umsatzsteigerungen für den Einzelhandel . Egal wo. Das bestätigen Studien in französischen Städten, in Kopenhagen, Oregon, New York und Dublin, Berlin, Tallin,… Studien kommen zu dem Ergebnis, dass der Einzelhandel die Bewegungsart der Kund*innen häufig falsch einschätzt. In Wien befragte Händler schätzten einen mittleren Anteil von 28% Autofahrer*innen-Kunden; tatsächlich waren es nur 10%. Diese nur 10% der Kund*innen verbrauchen jedoch den meisten Platz und treiben andere Kund*innen ins Internet.

Förderung sozialer Zusammenhalt
Nichts wirkt besser als der intergruppale Alltagskontakt im öffentlichen Raum, um Rassismus und Vorurteile zu bekämpfen und damit den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Aus der soziologischen Perspektive ist die Venloer Straße ideal, um sie als Begegnungsraum in Ehrenfeld zu etablieren. Mit der Moschee und den Kirchen sind unterschiedliche Religionen repräsentiert. Kulinarisch sind alle Kulturen vertreten. Mit dem Bürgerzentrum Ehrenfeld gibt’s auch einen Keyplayer für mehr Miteinander. Und dort ist das Bezirksrathaus.

5.1 Vorgehen, erster Schritt: Begegnungszonen
Im ersten Schritt (noch 2021) muss der MIV-Durchgangsverkehr von der Venloer Straße zw. Innerer und Äußerer Kanalstraße ferngehalten werden. Das ist möglich durch die Einrichtung Begegnungszonen mit Durchfahrtsperren für den MIV. Denkbar ist z.B. eine Kooperation mit der Wanderbaum-Allee. Zwei Orte auf der Venloer Straße bieten sich dafür an: Höhe Alpener Platz und Höhe St. Joseph oder Höhe Barthonia-Forum. Dadurch entstehen an diesen Punkten neue Räume mit mehr Aufenthaltsqualität und im ersten Schritt bleiben alle Seitenstraßen unverändert über die Venloer Straße zugänglich für den MIV. Die Vorschläge der BI Helios fügen sich hier übrigens perfekt ein.

5.2 Zweiter Schritt 
Im zweiten Schritt soll die Venloer Straße eine Fußgäng*innenzone mit Öffnung für den Radverkehr werden. Die Menschen in Ehrenfeld und der Einzelhandel werden es danken. Die planerische Aufgabe, die Zufahrt in die Seitenstraßen zu ermöglichen, haben die Wiener Planer*innen von Fußgänger*innenzonen für Wien gelöst, ebenso wie andere Planer*innen für ihre Städte. Das können die Kölner Planer*innen auch – wenn sie wollen.

6. Fahrradzonen
Die Novelle der Straßenverkehrsordnung lässt nun auch Fahrradzonen zu. Bremen hat bereits welche eingerichtet. Weitere Städte (Berlin, München) haben angekündigt, das Instrument zu nutzen. Im vorliegen Radverkehrskonzept sind Fahrradstraßen im Wesentlichen nur auf Schulwegen oder Velo-Routen vorgesehen. Das ist zu wenig. Mindestens in folgenden Gebieten in Ehrenfeld sollten Fahrradzonen eingerichtet werden:
– zw. Venloer Straße und Subbelrather Straße und zw. Innerer Kanal Straße und Gürtel
– zw. Venloer Straße und Subbelrather Straße und zw. Gürtel und Leyendeyer Straße
– zw. Venloer Straße und Vogelsanger. Straße und zw. Innerer Kanal Straße und Gürtel

7. KölnerFahrradGürtel (KFG)
Am 05.11.2018 hat die Bezirksvertretung Ehrenfeld beschlossen, jeweils einer Fahrspur pro Richtung des Gürtels in eine Fahrradspur als Teil einer zu schaffenden Radschnellverbindung KölnerFahrradGürtel (KFG) umzuwidmen. Die Verkehrsmengen lassen den Schritt schon jetzt zu. Vor dem Hintergrund der eingangs genannten Ziele ist die Umwidmung alternativlos. Zudem ist der linksrheinische Gürtel die Straße mit den meisten Schulen in ganz Köln.
Wie im Gutachten berichtet, kann die Umwidmung einer PKW-Spur in eine Fahrradspur ohne baulichen Eingriff realisiert werden. Daher soll spätestens 2022 das Ehrenfelder Teilstück des Gürtels umgewidmet sein.

8. Der Gürtelpark zum KölnerFahrradGürtel

Zweiter Schritt: Umwidmung Parken und bauliche Änderungen
Im Gutachten wird als alternative Lösung für den Gürtel vorgeschlagen, statt einer PKW-Spur den Parkraum umzuwidmen und als Fahrradspur nutzen. Wenn zukünftig die personellen und finanziellen Ressourcen für eine bauliche Intervention zu Verfügung stehen, dann schlagen wir eine Lösung vor, die die Spurbreiten von Szenario 1 und Gehwegbreite und das Parken aus  Szenario 2 kombiniert.

Da die MIV-Verkehrsmenge schon jetzt keine zwei Spuren für den PKW-Verkehr rechtfertigt (und in Zukunft erst recht nicht), kann die zweite PKW-Spur im Geiste Barcelonas („We have to remove the asphalt.“) der Erweiterung des Mittelgrüns zu Gute kommen. So entsteht dann der Gürtelpark.

Anhang